Page 15 - 35 Jahre Quedlinburger Musiksommer
P. 15
Der Quedlinburger Musiksommer –
Rückblick auf 35 Jahre
1624 polterte ein Prediger in Ulm, und Walter Kopf Moser schrieb, dass der Quedlinburger Stadtkantor
schrieb einen Teil dieser »Orgelpredigt« in seinen Erin- Wackermann im Jahr 1847 die stattliche Zahl von 65
nerungen 1972 auf (16) : »Wir haben ein solch herrliches Kirchenmusiken aufführte, darunter auch Werke von
Kirchengebäude, dergleichen nicht bald zu finden, ein solch Beethoven, Graun, Haydn und Mozart, 6 Passionen
herrliches Geläut in unserer Kirchen, dergleichen nicht bald und Kantaten. (19) Damals gab es keine Trennung von
zu finden, ein solches Orgelwerk, dergleichen nicht bald zu Schul- und Kirchenchören, von Stadtkantoren und
finden. Aber wer ist unter unserm Volk, der dessen achtet? Schulmusikern. Diese Bindung lockerte sich ab Mitte
Wir läuten, wir singen, wir orgeln, wir musizieren aufs des 19. Jahrhunderts. Nach der Auflösung des Stifts
beste; aber wir müssen lange läuten, singen, orgeln, mu- 1802 trat das bürgerliche Musikleben immer mehr in
sizieren, bis wir sie alle herbeiorgeln möchten. den Vordergrund. Trotz kriegerischer Zeiten und ideo -
Kirche läßt man Kirche sein, Orgeln Orgeln sein, Musik logischer Bevormundung existierten in der Stadt immer
Musik sein, wenn schon der allerberedteste Prediger, der Gemeinde-, Schul- und städtische Chöre, ein Collegium
berühmte Organist, der beste Musikant sich hören lassen musicum (seit 1759), seit 2.10.1945 (!) wieder die
sollte. Ist aber das nicht eine große Blindheit, eine große Städtischen Bühnen Quedlinburg und ein Landeskon-
Torheit, eine große Undankbarkeit? Ach, ach, ich trage servatorium, aus dem 1952 die Musikschule hervorging.
große Sorge, es werde um des großen Undanks willen etwa Quedlinburg hatte den 2. Weltkrieg weitgehend unzer-
in Bälde die unverhoffte Zeit kommen, daß man gern zur stört überstanden, zog daher viele Menschen und gerade
Kirche ginge, wenn man könnte, gern orgeln, einen evan- auch Künstler an. Mit Enthusiasmus wurden Instru-
gelischen Choral auf Instrumenten schlagen und blasen mental- und Orgelkonzerte, Oratorien, Passionen aufge-
hörte, wenn man nur könnte; denn Gott muß doch einst führt. Im Sommer 1946 und 1947 fanden »Quedlin-
Undank bestrafen.« burger Kulturtage« statt. Im »Kaiserhof« war das Kam-
Fast 400 Jahre sind seither vergangen. Wie könnte mertheater 1950 mit »Nathan der Weise« eröffnet wor-
sich der Prediger freuen, wenn er vom aktuellen den. Marlis Nowak berichtete aus den ersten
Quedlinburger Kirchenmusikleben mit den Ju- Nachkriegsjahren: »… Und so blühte in Quedlinburg ein
biläumsveranstaltungen im Jahre 2016 erführe! Wie ganz reges kulturelles Leben auf. … Die Angebote waren
hoffnungsvoll können wir nach 400 Jahren mit dem nach Auswahl und Qualität von erstaunlichem Niveau. In
Wissen, dass sich nicht jede pessimistische Weissagung Quedlinburg fand sich Elite ein, Nach wuchs künstler trafen
erfüllt, in die Zukunft blicken! Denn trotz aller Untiefen auf ein aufgeschlossenes, durch aus kritisches Publikum.«
im Laufe der dazwischen liegenden Jahrhunderte kön- Sie berichtet von Liederabenden mit Gerda Lammers,
nen wir in Kirchen gehen, können Glocken, Orgeln Dietrich Fischer-Dieskau, und von Siegfried Stöckigt
und Choräle hören. am Klavier. Der erste eigene Kirchenchor wurde 1865
(8)
in der Marktkirche gegründet, weil der Gymnasialchor
nicht mehr die erforderliche Stimmenzahl und -qualität
Quedlinburgs Kirchenmusik
ergab. Walter Kopf, der ab 1928 zugleich Schullehrer
in der Nachkriegszeit bis 1981 und Kantor der Domgemeinde war, kann gewisser-
maßen als der Letzte angesehen werden, der in seiner
Der mitteldeutsche Raum ist seit jeher für seine doppelten Chorleiterfunktion die Trennung über-
lebendige Musiktradition bekannt. Da ist es kein Wun- brückte. Er leitete weiterhin einen staatlichen Schulchor
der, dass allein in Sachsen-Anhalt zahlreiche Musikfeste wie auch im unbezahlten Neben amt den Domchor in
beheimatet sind. Sie bieten Kunstgenuss über das ganze kirchlicher Trägerschaft. Mit der »Matthäuspassion« von
Jahr und die ganze Breite der verschiedensten Heinrich Schütz, Bachkantaten und -motetten wurde
Musikrichtungen verteilt. Zu den ältesten dieser Musik- Bach anlässlich seines 200. Todestages geehrt. Walter
feste gehört der Quedlinburger Musiksommer. Seine Kopf wurde Kirchenmusikwart und organisierte 1947
Wurzeln reichen weit zurück. und 1957 in Quedlinburg Kirchenmusiktage. Auf den
Der Quedlinburger Musiksommer 13